TL;DR: Klassische Biozid-Antifoulings geben während der Saison kontinuierlich Wirkstoffe ans Wasser ab – zusätzlich entstehen Spitzen beim Schleifen/Waschen. In Marinas, Buchten und Seen addieren sich viele Quellen zu messbaren Belastungen mit messbaren ökologischen Folgen. Mit kluger Systemwahl und sauberer Wartung lässt sich die Umweltlast sofort senken – denn jedes Boot zählt.
Die Umweltbilanz klassischer Antifoulings
Klassische Antifoulings funktionieren, indem sie eineDosierung von Wirkstoffen an die Grenzschicht zum Wasser freisetzen. Kupferbasierte Antifoulings – in Europa die gängigste Produktgruppe – setzen dabei Kupferionen frei, oft verstärkt durch Booster (z. B. Copper‑Pyrithion, DCOIT). Das geschieht leise und stetig. In der Summe vieler Rümpfe entsteht ein Hotspot‑Effekt: erhöhte Kupferwerte im Wasser und im Sediment, besonders in Marinas.
Mehr Kupfer = Weniger Vielfalt
Erhöhte Kupferwerte setzen einen stillen Prozess in Gang: empfindliche Mikroorganismen und Aufwuchsalgen werden seltener, Seegraswiesen verlieren an Vitalität, Larven und Jungfische haben schlechtere Startbedingungen. Gleichzeitig dominieren zunehmend tolerante Arten – das Ökosystem wird einfacher, und ärmer. Im Sediment gespeichertes Kupfer hält den Druck über Jahre aufrecht und kann unter Sauerstoff- oder pH-Stress erneut freigesetzt werden. Es ist die leise Erosion der ökologischen Leistungsfähigkeit – nicht nur im Hafen, sondern überall dort, wo sich Einträge sammeln: in Buchten, Seen und Flussarmen.
Wie viel macht ein einzelnes Boot wirklich aus?
Eine oft zitierte Zahl lautet „2 kg Kupfer pro Sportboot (40 Fuß) und Jahr“. Die Literatur zeigt je nach Revier, Farbe und Nutzungsprofil eine Bandbreite: In einer Schweizer Auswertung wurde für ein 9‑m‑Boot bis zu ~1 kg/Jahr abgeschätzt. Für Deutschland schätzt das Umweltbundesamt die Gesamtlast aus Sportboot‑Antifoulings auf ~70 t Kupfer/Jahr.
Entscheidend ist: Jede Verringerung am einzelnen Boot senkt die Summe in der Marina. Jedes Boot zählt.
Wo Biozidfarben bereits (teilweise) verboten sind
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Schweden (KEMI): In Binnengewässern und im nördlichen Bottnischen Meerbusen sind biozidhaltige Antifoulings nicht zugelassen; an der übrigen Ostküste sind nur kupferärmere Ostküsten-Rezepturen erlaubt.
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Deutschland & Ostsee‑Region. Das UBA verweist auf skandinavische Modelle (z. B. Schweden) und empfiehlt strengere Regeln für Binnenreviere; regional bestehen bereits Einschränkungen für biozidhaltige Anstriche. Behörden entwickeln Expositions‑Szenarien für Binnen‑Marinas als Basis für Zulassungen/Auflagen.
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Dänemark. Verschärfte Auflagen für Binnenreviere/Fjorde, regionale Produktlisten und strikte Waschwasser‑/Schleifstaub‑Rückhaltung in vielen Häfen; In-Water-Cleaning auf biozidhaltigen Farben in der Regel nur mit Capture und Genehmigung.
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Niederlande. Rijkswaterstaat/Waterschappen setzen in empfindlichen Gewässern auf restriktive Produktzulassungen, Waschwasser‑Erfassung und IWC‑Verbote bzw. Capture‑Pflicht für biozidhaltige Beschichtungen; biozidfreie Systeme werden bevorzugt.
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Weitere EU-Beispiele: In mehreren Ländern/Regionen gibt es zonale Einschränkungen oder strengere Auflagen für Binnenmarinas (z. B. niedrigere Cu-Grenzen, eingeschränkte Produktlisten). Häufig gilt: In-Water-Cleaning auf biozidhaltigen Anstrichen ist verboten oder nur mit Capture-System erlaubt.
- Kalifornien: Port of San Diego fährt einen -76 % Kupfer-Reduktionspfad und fördert biozidfreie Systeme und Closed-Loop-Reinigung—ein Vorbild für europäische Häfen, die ähnliche Programme prüfen.
Take-away: Die „Vorreiter“ zeigen, was praktikabel ist—und wohin sich Aufsichtsbehörden in empfindlichen Revieren in Zukunft immer mehr bewegen werden.
Wenn keine Biozide – was dann?
Biozidfrei senkt die stoffliche Gewässerbelastung sofort. Dennoch gilt: biozidfrei ≠ automatisch umweltfreundlich—das Material macht den Unterschied.
Silikon-basierte Fouling-Release.
Sehr geringe Haftung, gute Gleitwirkung; Bewuchs lässt sich bei Fahrt oder sanfter Pflege lösen. Nachteil: Abrieb-/Mikropartikel-Risiko bei harter Bürstenreinigung oder mechanischer Belastung, anspruchsvolle Reparaturen.
Fluorpolymere (PTFE/PFAS).
Extrem glatte, chemisch stabile Oberflächen—aber Persistenz („Ewigkeitschemikalien“) und Regulierungsdruck. Ökobilanz kritisch prüfen, insbesondere Herstellung/Entsorgung/Additive.
Harte, glatte biozidfreie Systeme (z. B. F2).
Setzen auf mechanische Robustheit statt Wirkstoffabgabe. Sehr glatte, robuste Oberfläche ohne Abrieb, planbare Gentle-Clean-Pflege, lange Standzeiten. Ohne Kupfer, ohne Silikone, ohne fluorierte Polymere. Das reduziert Re-Coats, Schleifaufwand und Abfallmengen.
Fazit: Verantwortung, die sich rechnet
Nicht der „eine große Eintrag“ macht das Problem, sondern tausende kleine Dauerquellen—und genau dort hat jeder Bootseigner den Hebel. Wer auf biozidfreie, robuste Systeme setzt, senkt die Umweltlast sofort und spart über die Laufzeit oft Zeit und Geld: weniger Schichten, weniger Schleifen, weniger Entsorgung—mehr Biodiversität im eigenen Revier.
Quellen (Auswahl)
- UBA (DE): „Boat hull paints – a problem for our waters“ (70 t Cu/Jahr, ~19 % der Cu‑Einträge) – https://www.umweltbundesamt.de/en/press/pressinformation/boat-hull-paints-a-problem-for-our-waters
- Chalmers/Water Research: „Antifouling paints leach copper in excess …“ – https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0043135420309180 (Open‑Access Manuskript: https://research.chalmers.se/publication/519111/file/519111_Fulltext.pdf)
- KIT/Environmental Pollution: „Modelling copper emissions from AFP on leisure boats (DE)“ – https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0269749121015438
- HELCOM‑Indikator „Copper“ (Sedimentbewertung Ostsee) – https://indicators.helcom.fi/indicator/copper/
- Schweiz/Skippers: „… neun Meter langes Boot bis zu ~1 kg Cu/Jahr“ – https://skippers.ch/de/aktuell/segeln-ozean/gesunde-seen-umweltschonendes-antifouling-86645/
- ECHA/OECD zu PFAS (Persistenz/Regulierung) – https://echa.europa.eu/hot-topics/perfluoroalkyl-chemicals-pfas · https://one.oecd.org/document/ENV/CBC/MONO(2022)4/en/pdf
- Microplastics aus Schiffs‑Beschichtungen – EU‑Kurzbericht/Frontiers – https://ec.europa.eu/newsroom/env/items/718232/ · https://www.frontiersin.org/journals/marine-science/articles/10.3389/fmars.2024.1502000/full
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